Aus dem Tagebuch eines Photographen...

    • Offizieller Beitrag

    Ich muss da gerade mal ein kleines Erlebnis loswerden, dessen volle Tragweite wohl nur Photographen nachvollziehen können. ;)


    Ich hatte schon seit einiger Zeit den Auftrag offen, für einen Kalender ein Bild der Siersburg zu erstellen, keine Standardaufnahme, sondern in Szene gesetzt unter dem Sternenhimmel, bevorzugt mit Strichspuren. Die Vorbesichtigung genauso wie die Besprechungen waren bereits gelaufen, ich wartete nur noch auf optimale Bedingungen. Die gab es in der vorletzten Woche, extrem klare Luft, Neumond, angenehme Temperaturen und nach Angaben der Gemeinde kein Betrieb, also keine Veranstaltung, kein Auf- oder Abbau.


    Um halb Neun trafen wir (meine Frau als Assistent) an der Burg ein, mit dabei drei Stative, drei Kameras, drei Objektive für, richtig, drei Aufnahmepositionen. Unten an der Burg parkte ein Auto, in der Burg standen doch drei Pavillonzelte, allerdings auf der anderen Seite, also deutlich außerhalb der geplanten Aufnahmen. Wir zogen zunächst auf die der Burg gegenüberliegende Wiese, um in der Dämmerung die ersten Bilder zu machen (falls alles schief läuft, sind wenigstens stimmungsvolle Photos im Kasten). Ab und zu kamen Spaziergänger, ein Fahrradfahrer, alles kein Problem und wir genossen den schönen Abend bei einem kleinen Picknick. Gegen elf fing ich an, die erste Kamera auf- und einzurichten für die Strichspuraufnahmen. 60 Sekunden Belichtungszeit, Blende f/2,8, ISO 1.600, das Testbild noch etwas zu hell, aber das gibt sich mit fortschreitender Dämmerung. Mit dem Feststellen des Fernauslösers beginnt die erste Aufnahme, und damit ein Abend, den ich so schnell nicht mehr vergessen werde.


    Just in dem Moment, als das erste Bild aufgezeichnet wurde, fuhr ein Auto den Weg zur Burg hoch und damit einmal quer durchs Bild. Zwei Minuten später folgte, wie bestellt, ein zweites Fahrzeug. Nach einer viertel Stunde ging es für beide Fahrzeuge in umgekehrter Richtung wieder den Berg hinunter. Einmal tief durchatmen, die Nacht ist noch jung und wir sind eben nicht allein auf der Welt.


    Meine Frau blieb bei der ersten Kamera, ich ging zur Burg hoch um Kamera zwei und drei aufzubauen. Der Innenhof menschenleer, die drei Zelte standen noch immer da. Kamera zwei war für die bessere Perspektive, bei der allerdings der Polarstern nicht mehr im Bild war, vorgesehen. Flach über dem Boden dauerte es ohne Klappdisplay etwas länger, bis sie anständig ausgerichtet und eingestellt war. Ich aktivierte auch hier die erste Aufnahme, und wie auf Zuruf hörte ich ein Fahrzeug. Über Funk meldete sich meine Frau, das Auto ist wieder da. Super. Es fuhr mit voller Beleuchtung in den Innenhof, die Aufnahme ist also auch ruiniert. Der Mann stieg aus und verschwand in einem der Zelte. Gerade löste die zweite Aufnahme aus, da wurde der Innenhof abermals hell erleuchtet - er hatte seinen Wagen abgeschlossen, gelbe Blinker können in der dunklen Nacht sehr grell leuchten. Pünktlich zur dritten Aufnahme kam auch das zweite Fahrzeug. Tief durchatmen, es ist wie es ist und die Nacht ist noch jung.


    Die dritte Kamera kam auf meine favorisierte Position. Zwar war die Perspektive nicht so gut wie bei der zwei, aber dafür war der Polarstern mit drauf, was für einen sehr beeindruckenden Tunneleffekt bei den Strichspuren sorgt. Das Stativ stand, geschützt durch Reste der Burgmauer, aber deutlich darüber hinweg ragend, links von mir. Mit der ersten Aufnahme, richtig, fuhr ein Fahrzeug wieder los, nur um nach ein paar Minuten wieder zu kommen. Wieder das gleiche Spiel mit der Zentralverriegelung, natürlich. Tief durchatmen, die Nacht ist noch jung.


    Eine halbe Stunde war es ruhig geblieben, als ich den Schein einer Taschenlampe quer über den Hof flitzen sah. Natürlich auch voll auf mein Türmchen, so als wollte jemand schauen, ob das noch da ist. Zwei Gestalten sah ich, meine Augen inzwischen sehr gut an die Dunkelheit gewöhnt, aus den Zelten heraus und über die Anlage schleichen. Erst etwas ziellos, schien ihnen dann das Licht der Kamera aufgefallen zu sein. Sie kamen näher, und ich hörte in einem hier ziemlich ungewöhnlichen, starken Berliner Dialekt: "Ick glob det nich, kiek ma da, da hat eener seen Photo verjessen". Ich musste schmunzeln und antwortete in freundlichem Ton: "Nein, nicht vergessen. Ich mache Aufnahmen und würd euch bitten, nicht ins Bild zu laufen." Stille. Dann, nach ein paar Sekunden, der Verschluss hatte gerade wieder aufgelöst, die Frage (deutlich hochdeutscher, er wollte wohl nicht auffallen): "Dürfn wa jetzte, oder machste so Langzeitbilder". "Ich mache Langzeitaufnahmen", antwortete ich, "wenn ihr vielleicht hier hinten rumgehen wollt. Danke." "Klar, keen Problem". Die beiden zogen an meinen Sachen vorbei, er zeigte ihr die Stadt, ich brauchte nicht tief durchatmen, denn es war eine ganz nette Begegnung. Später gingen die beiden wieder, wieder hintenrum, wir wünschten uns gegenseitig noch einen schönen Abend. Blinkerleuchten. Scheinwerferlicht. Sie fuhr mit dem Auto davon, ich atmete wieder tief durch, die Nacht ist noch jung.


    Der vorsichtige Blick auf die Uhr, viertel vor Eins. So jung dann auch nicht mehr, aber es wird schon noch reichen. Die Nacht war wirklich schön, so klar wie angekündigt, man konnte sogar die Milchstraße relativ gut erkennen. Die Tiere der Nacht machten sich lautstark bemerkbar, die Luft war angenehm warm, leise hörte man in der Ferne die Sirenen der freiwilligen Feuerwehr, und ich dachte so bei mir, bei meinem Glück müssten die gleich den Berg hoch kommen. Fünf Minuten später kamen sie den Berg hoch, erst ein Geländewagen, dahinter zwei Löschzüge und zwei weitere Fahrzeuge. Die ganze Umgebung war hellblau erleuchtet. Sie hielten zwar vor der Burg, das Licht aber war überall. Ein Feuerwehrmann kam herein gerannt, sah meine Kamera, ging auf diese zu und sprach sie an: "Entschuldigung, haben sie...". Er hielt inne, bemerkte seinen Irrtum, guckte sich um. "Hier oben", ich stand auf der Burgmauer, "Guten Abend". "N'abend, haben sie hier ein Feuer gesehen?", fragte er sichtlich nervös. "Hier auf der Burg nicht, den ganzen Abend schon nicht". "Hier soll es brennen, Feuerschein auf der Burg" nuschelte er mehr, sprach etwas in sein Funkgerät und ging zu den Zelten. Meine Frau meldete sich über unser Funkgerät und fragte etwas ängstlich, was denn bei mir los sei. Ich schilderte ihr die Lage, und atmete tief durch.


    Aus der Ferne hörte ich das Gespräch zwischen dem Einsatzleiter und dem Zeltbewohner mit. "Ick hab hier ne Funzel", wieder leuchtete er über den Innenhof. "Die kann das nicht sein, ich schau nochmal", antwortete der Feuerwehrmann und machte einen Rundgang, natürlich mitten durch meine Aufnahmen. Er schaute mich noch kurz an und verschwand dann grußlos. Zusammen mit ihm zog sich auch die komplette Kolonne zurück. Ich schaute abermals auf die Uhr, inzwischen ein Uhr. Wieder knackte mein Funkgerät, meine Frau meldete, dass Kamera 1 mit Kartenfehler ausgefallen ist. Ich atmete tief durch und hoffte, dass die Nacht wenigstens für Kamera 2 und 3 noch lang genug ist.


    Um viertel nach Eins hörte ich wieder ein Auto den Berg hochfahren, die Türen knallten außerhalb der Burg, zwei Lichtkegel kamen durch das Tor in den Innenhof. Ein Schwenk von links nach rechts, auf meiner Kamera blieb die Taschenlampe stehen. "Guten Abend" rief ich den beiden Polizisten von hinten zu. "N'Abend, bauen sie hier auf?", sagte der Ältere von den beiden, den ich auf Anfang 30 schätzen würde. "Nein, ich photographiere.", antwortete ich, "Langzeitbelichtungen". "Oh", sagten beide gleichzeitig, während sie ihre Taschenlampen aus schalteten, "dann haben wir Ihnen wohl die Aufnahme ruiniert?". "Nein nein, das hat schon die Feuerwehr erledigt." Ich rang mir ein schmunzeln ab, wohl wissend, dass dies eh keiner sehen wird. Die beiden interessierten sich auch nur für das Feuer, schauten sich rücksichtsvoll ohne weiteres Licht um und verschwanden dann wieder, anders als die Feuerwehr mit Gruß. Ich atmete tief durch.


    In der Dunkelheit konnte ich die Fledermäuse gut beobachten, wie sie Jagd auf Insekten machten. Sie huschten von links nach rechts, von rechts nach links, umkurvten die Stative gekonnt. Meinen Kopf konnte zumindest einer von Ihnen allerdings nicht orten. Mir wurde kurz schwarz vor Augen, noch Schwärzer als die Nacht. Es waren wohl nur Sekunden, aber sie fühlten sich an wie Stunden. Als ich wieder etwas erkennen konnte, wanderte mein Blick auf die Uhr, kurz nach drei. Es reichte. Feierabend.

  • Eine tolle Geschichte. Hab mich direkt in die Situation versetzt gefühlt und musste die ganze Zeit schmunzeln:D Solch eine Situation oder ähnlich hat wohl jeder schon mal erlebt, nur halt nicht eine ganze Nacht lang und mit slch einer Anhäufung von Ereignissen.


    Bleibt noch die Frage, ob wenigstens eine der Aufnahmen was geworden ist?


    Danke für die nette Geschichtesuper

    "Fotografieren braucht Zeit. Wer sich die nicht nehmen will, kann ja knipsen"

  • Die Erlebnisse sind spannend beschrieben und lesen sich (sorry, Sascha) unterhaltsam.:D
    Ich dachte bisher immer, solche Pechsträhnen passieren nur mir..........
    Das muß wirklich eine unvergeßliche Nacht sein - diese Anhäufung von Widrigkeiten - als Höhepunkt noch eins vor den Kopf - ich hoffe nur, du hast trotz allem genügend Material für den Auftrag zusammen.
    Das würde mich interessieren, Sascha.

    Gruß - maxie



    Ein Freund ist jemand, vor dem man laut denken kann.

  • Bei deiner unterhaltsam geschriebenen Geschichte kommt bei mir schon Vorfreude auf die kommende Nachtaufnahmen-Saison auf. :rolleyes:
    Gerade weil da immer soviel schief gehen kann ist die Freude über gelungene Bilder dann bei mir immmer besonders groß.

    Gruß aus Hamburg vom schokopanscher


    Meine Homepage - Möge das Licht mit Dir sein!

  • So oder zumindest so ähnlich ist es wahrscheinlich vielen von uns schon ergangen. Schön zu wissen, daß es nicht nur mir passiert!:p

    Gruß aus Dorsten (der kleinen Hansestadt an der Lippe)


    Jürgen

    Ich hab keine Macken, das sind special effects

  • Manchmal kommts schon richtig dicke. Wo anders als hier unter Fotofreunden findet man für so eine Geschichte grinsendes Verständnis, begleitet von einer kleinen Prise Mitleid und dem Gefühl "du bist nicht allein". Der Knaller ist allerdings die Fledermaus, das toppt alles


    Meine letzten beiden Erlebnisse dieser Art: Frühlingsfest München Nachtaufnahme/Langzeitbelichtung Riesenrad mit malerischen Kirchtürmen im Hintergrund. Da es anfing zu regnen, sollte es die letzte und krönende Aufnahme den Abends werden. Alle machten respektvoll brav einen großen Bogen um das Stativ mit laufender Kamera. Kurz vor Ende der Aufnahme sprang wie aus dem Nichts eine junge Frau sichtlich angeheitert direkt vor die Linse, baute ihr Gesicht wenige cm vor der Kamera auf und krähte hinein "bin ich nun im Fernsehen". Einen kurzen Augenblick überlegte ich, ob man für einen Schlag im Affekt mit einer Kameraausrüstung mildernde Umstände bekommt.


    Was auch gut kommt - mit Fotofreunden losziehen und bei den Nachtaufnahmen ihre leicht blau beleuchteten Gesichter in der Langzeitaufnahme, weil sie plötzlich zwischen dir und Motiv stehen und ihre Aufnahmen per Monitor anschauen ohnmacht........


    Etwas ausgebaut wäre das der Stoff, aus dem Hollywoodträume oder Hitchcockthriller gemacht werden super

    Graue Haare sind voll im Trend, wenn nun noch Übergewicht und Falten modern werden, wird das mein Jahr
    meine Homepage - Uschi - lieber von Rubens gemalt als vom Schicksal gezeichnet

    • Offizieller Beitrag

    Geteiltes Leid ist halbes Leid, schön zu hören, dass sich doch jeder da irgendwie wiederfindet. Amüsant ist übrigens auch, dass dies der zweite Versuch war, die Burg aufzunehmen. Der Erste hätte schon einen Monat früher stattfinden sollen. Ich hatte extra bei der Gemeinde angerufen, mein Vorhaben geschildert und gefragt, ob am geplanten Termin Veranstaltungen oder ähnliches stattfinden. Es gab ein ganz klares Nein. Als wir dann Abends mit der ganzen Ausrüstung vor Ort auftauchten stand der Parkplatz voller Camper, die Burg randvoll mit Zelten - ein jährliche Treffen der Feuerkünstler, immer irgendwo in Europa, und genau an diesem Tag auf der Siersburg. Auf späterer Nachfrage hieß es von der Gemeinde, das wäre ja keine öffentliche Veranstaltung gewesen, deswegen hatte man die nicht erwähnt; anscheinend ist die nette Dame keine Photographin ;)


    Die Photos konnte ich übrigens verwenden, allerdings nicht ohne weitergehende Bearbeitung. Zum Glück war die Luft relativ klar gewesen, so dass die Taschenlampen keine Spuren am Himmel hinterließen. Auch war es gut, dass niemand direkt ins Objektiv geleuchtet hat, so dass es keine Reflektionen gab. Die angestrahlten Bildteile konnte ich entsprechend ersetzen, etwas schwieriger war nur die Aufnahme, bei der der Feuerwehrmann mit Lampe quer durchs Bild gelaufen ist. Aber auch das hat gut funktioniert. Ich kläre morgen mal ab, ob ich die Bilder zeigen darf.


    PS: Die Situation hat mir übrigens einmal mehr vor Augen geführt, warum ich mit "Live Composite" dann doch nichts anfangen kann. Nur durch die Nachbearbeitung einzelner Aufnahmen war es letztlich möglich, das gesamte Bild zu retten.

  • Oh weh, welch eine Geschichte. Immerhin - eine Nacht voller Begegnungen.


    Bliebe noch die Frage, bezahlt der Auftraggeber das Bild oder gibt es Stundenlohn - denn dann....;)

    Gruß Anna



    Zitat

    Wo viel Licht, da ist auch Schatten.

    • Offizieller Beitrag

    Sorry für die späte Rückmeldung, aber eigentlich wollte ich direkt mit Photos wiederkommen. Das funktioniert zur Zeit noch nicht, weil ich noch keine Freigabe habe. Um aber die Frage noch zu beantworten, finanziell gab es für uns keinen Schaden. Andererseits kriegt man die Nerven aber eben auch nicht ersetzt.

Unserer Olympus-Fachhändler

Foto Baur